Bei der Bundeswehr gibt es das Warnsystem ISoLa. Das steht für „Innere und Soziale Lage“.
Wenn es irgendwo in der Truppe einen Fall von Rechtsextremismus, Selbstmord, Gewalt oder Sexismus gegeben haben soll, dann erfolgt eine ISoLa-Meldung an die Leitung des Verteidigungsministeriums.
Einer dieser Warnhinweise sorgt in der Truppe für mächtig Wirbel. Ausgerechnet der Kommandeur des Zentrums Innere Führung, Zwei-Sterne-General Markus Kurczyk (58), soll einen Soldaten sexuell belästigt haben.
Die Vorwürfe sind heftig: Kurczyk, der für die Führungskultur in der Bundeswehr zuständig ist, soll versucht haben, den Offizier gegen seinen Willen auf den Mund zu küssen. Und ihn an den Po gefasst haben.
Kurczyk hingegen soll diese Übergriffe bestreiten.
Der Vorfall passierte bei den Invictus Games in Düsseldorf. Ein internationaler Sportwettkampf für Soldaten, die im Einsatz an Körper oder Seele verwundet wurden.
Bei der Abschlussfeier am Freitag vor zwei Wochen kam es zur fatalen Begegnung, mitten unter den Gästen in der VIP-Lounge. Kurczyk, bekennender Hetero, begrüßte den offen schwul lebenden Offizier. Die beiden kennen sich aus der Bundeswehr, stehen aber in keinem direkten Dienstverhältnis.
Es soll Zeugen geben, allerdings widersprechen wohl auch die sich. Manche wollen „nur“ eine Umarmung von Kurczyk gesehen haben. Für andere soll es wie die versuchte Nachstellung der Kuss-Szene des spanischen Fußballchefs Luis Rubiales ausgesehen haben.
Was immer wieder betont wird: Kurczyk, der dort mit seiner Partnerin und seinem 11-jährigen Sohn war, wirkte sehr aufgewühlt. Er war selbst fast drei Jahre im Afghanistan-Krieg.
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Einer, der ihn dort getroffen hat, erzählt: „Er heulte wie ein Schlosshund, hat sich von der feierlichen Stimmung mitreißen lassen, lag sich mit anderen Soldaten in den Armen.“
Die Verteidiger von Kurczyk haben bei Instagram die Aktion #kameradmarkus gestartet, posten Bilder von Umarmungen mit dem General. Kurczyk gilt bei seinen Anhängern als ungewöhnlich nahbar für einen so ranghohen Soldaten.
Seine Kritiker finden, dass sich Kurczyk an dem gesamten Abend distanzlos benommen habe und er seinem Dienstgrad in keiner Weise gerecht geworden sei.
Vier Tage nach dem Vorfall soll der Offizier sich beim General telefonisch gemeldet haben. Was die beiden beredet haben, wissen nur sie. In der Luftwaffe, zu der beide gehören, heißt es: Kurczyk habe dem Offizier ein Vier-Augen-Gespräch zur Klärung angeboten. Dazu kam es aber nicht.
Drei Tage später ging dann die Beschwerde des Offiziers im Ministerium ein. Generalinspekteur Carsten Breuer (58) handelte konsequent. Entband Kurczyk am Samstag vorläufig von seinem Amt, informierte den Bundestag. Seitdem nimmt der General Urlaub. Und die Ermittlungen laufen.
Was den Fall Kurczyk noch brisanter macht: Kurz zuvor war bekannt geworden, dass der Brigade-General Frank Reiland (56) aus dem Personalamt vor zwei Jahren zu einer Disziplinarstrafe wegen sexueller Belästigung verurteilt worden war.
Reiland hatte im Beisein einer jungen Praktikantin zu deren Vater gesagt: „Wenn ich Ihre Tochter sehe, komme ich auf schmutzige Gedanken.“ Trotzdem berief ihn das Ministerium zum Chef der neuen „Taskforce Personal“. Als sein Fall öffentlich werden sollte, wurde Reiland vom neuen Job entbunden, sitzt wieder im Personalamt.
In der Bundeswehr gelten seit einer Woche strengere Regeln. Die Dienstvorschrift zu sexualisiertem Fehlverhalten ordnet an: Vorgesetzte müssen nicht nur bei körperlichen Übergriffen einschreiten, sondern auch bei sexuellen Bemerkungen und Pornobildern.
Das Zentrum Innere Führung hat eine Kampagne zum Anti-Sexismus-Erlass erarbeitet. Darin heißt es unter anderem: Der Dienst ist frei von unerwünschten Berührungen und bedrängender körperlicher Nähe.