Robert Habeck kniet auf dem Dach und rüttelt an einer Solaranlage, die er eben befestigt hat. Der Wirtschaftsminister trägt schwere Schutzschuhe und eine orange Warnweste. Vor ihm hat sich eine Traube von Fotografen gebildet. Jeder von ihnen will ein Bild vom grünen Vizekanzler auf dem Dach des Bremer Logistikunternehmens BLG, wo die größte zusammenhängende Solaranlage Deutschlands entsteht. Habeck lächelt zufrieden.
Dann folgt der Wechsel: Die Fotografen müssen runter und die Kameraleute vom Fernsehen dürfen rauf aufs Dach. Alle auf einmal trägt die Statik nicht. So wird das Solarpanel noch einmal abmontiert. Habeck befestigt es wieder und lächelt erneut. Daneben steht sein Sprecher und sagt in Richtung Presse: „Keine Fragen.“ Es soll ein Wohlfühltermin bleiben.
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Den hat Habeck nötig, denn seit Wochen steht er in der Kritik. Mit dem geplanten Einbauverbot von Öl- und Gas-Heizungen ab 2024 hat er die Opposition, die FDP und 80 Prozent der Bevölkerung gegen sich aufgebracht.
Zudem belasten die Vorwürfe der Vetternwirtschaft das Ministerium, seit sein wichtigster Staatssekretär, Patrick Graichen, seinem Trauzeugen einen lukrativen Posten vermittelt hat. Ausgerechnet Habeck, der Ober-Pragmatiker der Grünen, hat die gesellschaftliche Mitte verprellt. Jene Mitte, die vor einem Jahr noch Habeck regelrecht verehrte – und um die er sich so lange bemüht hatte.
Die Kanzlerkandidatur ist ungeklärt
Schon beim Atomausstieg handelte der Minister gegen die Mehrheitsmeinung im Land. Nun ist auch noch seine Glaubwürdigkeit akut gefährdet – seine Ambitionen auf das Kanzleramt sowieso.
Es wirkt in diesen Tagen, als sei der Vizekanzler vom Kurs abgekommen. Dabei hatte sich Habeck als Krisenminister zunächst bewährt. Die Gas-Krise wurde abgewendet, taumelnde Energieunternehmen gerettet, neue Gas-Lieferanten gefunden, LNG-Terminals im Eiltempo gebaut.
Habeck kann einige Erfolge vorweisen, und doch sinken die Zustimmungswerte für ihn und seine Partei. Dabei stehen im Herbst zwei wichtige Landtagswahlen an, in Bayern und im grünen Kernland Hessen, wo man mit der CDU regiert. Ob das gut geht?
Die Grünen verhalten sich nach außen hin momentan auffällig ruhig, öffentlich springt Habeck in der Causa Graichen niemand zur Seite. Es gebe da nicht viel zu verteidigen, heißt es hinter vorgehaltener Hand. Teile der Grünen beäugen ihn schon lange argwöhnisch, halten ihn für abgehoben mit Hang zur Selbstinszenierung.
Graichen und die Trauzeugen-Affäre Deutschlands wichtigster Energiewende-Bürokrat hat sich selbst angezählt
So unumstritten wie etwas Olaf Scholz in der SPD ist Habeck bei den Grünen nicht. Annalena Baerbock agiert nicht nur im Auswärtigen Amt selbstbewusst. Die Kanzlerkandidatur 2025 ist ungeklärt. So setzt sich fort, was im vergangenen Sommer mit der vermurksten Gas-Preisbremse begann: Der Publikumsliebling Habeck verliert sein Publikum. Der Krisenminister ist selbst in die Krise geraten.
Da soll so ein Wohlfühltermin wie vor den Toren Bremens helfen. Auf dem nahegelegenen Deich grast eine Herde Schafe, im Graben schwimmen ein paar Enten, im Hintergrund drehen sich Windräder. Eine grüne Idylle. Die Eröffnung der neuen Halle des Logistikunternehmens ist ein Projekt ganz nach dem Geschmack des Grünen-Politikers.
Das Gebäude ist modern isoliert und spart Strom mit einer intelligenten Lichtsteuerung. In der Kantine hängen Moosdiskokugeln für das Raumklima, auf dem Dach sollen 23.000 Solarpanels verbaut werden.
Wieder schöne Bilder
„Wir stehen nicht nur vor einem Logistikzentrum, sondern auch vor einem Solarkraftwerk“, sagt der BLG-Vorstandvorsitzende. Mit dem Sonnenstrom versorge man nicht nur das Unternehmen, sondern auch 2400 Haushalte. Habeck lobt das Konzept des Logistikers, der schon 2030 komplett klimaneutral sein will.
„Sie haben einfach das gemacht, was richtig ist“, sagt er in seiner kurzen Rede. Dann durchschneidet er an der Seite des Bremer Bürgermeisters ein Grasband mit einer Gartenschere und hängt einen Brutkasten an einen Baum vor der Lagerhalle. Wieder Fotografentraube, wieder schöne Bilder.
Firmeneröffnung mit Gartenschere und Brutkasten. © dpa/Lars Klemmer
Ein paar Stunden später steht Habeck auf einer Theater-Bühne in der Bremer Innenstadt. Er hat die orangene Warnweste und sein Sakko abgelegt und die Ärmel hochgekrempelt. Habeck, der sich als Student als Schauspieler ausprobiert hat, ist jetzt in seinem Element. Es ist ein Wahlkampfauftritt für die Bremer Grünen, die am 14. Mai ihren Platz im Senat behaupten wollen.
Habecks Gesetze belasten die Bremer Grünen im Wahlkampf
„Alles geben, weil es um alle geht“, lautet der Kampagnen-Slogan, der groß auf der Bühne zu lesen ist. Doch an diesem Versprechen scheinen zunehmend Zweifel aufzukommen. In Umfragen sackten die Grünen in Bremen zuletzt ab, ob sie die 17,4 Prozent von 2019 nochmal erreichen, scheint fraglich.
Das liegt auch an Habeck, der mit den Debatten um das Heizungs-Gesetz keinen Rückenwind nach Bremen gebracht hat. Hastig haben die Grünen in der Hansestadt deshalb ein weiteres Förderprogramm als Wahlkampfversprechen eingebracht. Wer eine neue, klimafreundliche Heizung einbaut, soll nicht nur bis zu 40 Prozent der Kosten vom Bund erhalten, sondern nochmal 15 Prozent vom Land.
„Wir haben das Geld in Bremen“, sagt Spitzenkandidatin Maike Schaefer auf der Theater-Bühne. Da beginnt selbst in dem sonst sehr zugewandten Publikum ein Murmeln. Die Stadt ist seit Jahren hoch verschuldet, die Arbeitslosigkeit ist mit 10,7 Prozent fast doppelt so hoch wie im Bundesschnitt. Doch die Ängste, die Habecks Vorhaben in der Bevölkerung ausgelöst haben, müssen seine Bremer Parteifreunde mit allen Mitteln wieder abbauen. „Wir lassen niemanden in der Kälte stehen“, versprechen sie auf Flyern.
Wir lernen gerade, Abschied von der Ära Merkel zu nehmen.
Robert Habeck sieht in der früheren Kanzlerin den Grund für aktuelle Probleme.
Habeck selbst geht weder auf die Causa Graichen, noch auf die Heizungs-Debatte ein. Direkte Fragen sind erneut nicht zugelassen. Doch Habeck liefert einen allgemeinen Erklärungsansatz, warum die Grünen mit ihren Vorhaben aktuell auf so viel Gegenwehr stoßen.
„Wir lernen gerade, Abschied von der Ära Merkel zu nehmen“, sagt er. Nicht nur die Bundeskanzlerin sei gegangen, sondern seit dem Ukraine-Krieg auch außenpolitische Überzeugungen. Und nun, so Habeck, erlebe man den innenpolitischen Abschied der Ära Merkel.
Unter Merkel seien alle für Klimaschutz und die Klimaneutralität 2045 gewesen. „Es ist aber unterblieben, auszubuchstabieren, was das bedeutet“, beklagt Habeck. Der Ausbau der Erneuerbaren sei verschlafen, Wasserstoff vergessen, Wohnungen nicht gebaut, gegen den Fachkräftemangel nichts getan worden. Man liege sieben zu null hinten, sagt Habeck: „Ich weiß auch nicht, warum wir alles zehn Jahre zu spät gemacht haben.“
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Es klingt ein wenig wie eine Ausrede, für seine Probleme macht Habeck Angela Merkel verantwortlich. Eigene Fehler räumt er nicht ein. Doch am Ende erhebt sich das Publikum im Theater und spendet Habeck stehende Ovationen. „Ist ganz lieb von euch“, sagt Habeck, dem der Applaus sichtlich gut tut. Dann geht es für den Minister zurück nach Berlin. Zurück zu seinen Problemen.