Corona: Rooz im Interview über seine Erkrankung: “Den Tod vor Augen”

von Carsten Heidböhmer
09.12.2021, 16:43 Uhr

Mitte November kam der HipHop-Journalist Rooz Lee mit Corona ins Krankenhaus und kämpfte um sein Leben. Im stern-Interview spricht er über die schwere Zeit – und die Resonanz, die seine Instagram-Videos von der Intensivstation ausgelöst haben.

Er ist Deutschlands prominentester Rap-Experte und bekannt unter dem Namen Rooz. Seine Videos, in denen er mit HipHop-Größen wie Bushido, Kay One, Fler und anderen spricht, werden millionenfach abgerufen. Doch vor einigen Wochen machte der 1979 im Iran als Roozbeh Farhangmehr geborene Journalist mit erschreckenden Videos auf Instagram auf sich aufmerksam: Er postete unzählige Filme von der Intensivstation des Uniklinikums Essen, in denen der 42-Jährige von seiner schweren Corona-Erkrankung berichtet – und damit eine Welle von Anteilnahme auslöst. 

Rooz, hinter Ihnen liegen dramatische Wochen. Sie wurden im November mit Covid in die Notaufnahme eingeliefert – und wären fast daran gestorben. Wie geht es Ihnen mittlerweile?
Mir geht es gut. Schon viel besser. Ich darf heute das Krankenhaus verlassen.

Wie kam es, dass die Situation so bedrohlich wurde?
Ich dachte zunächst, ich hätte nur eine normale Grippe. Ich bin ja gegen Covid geimpft und hatte vorsichtshalber fünf Corona-Schnelltests gemacht. Alle negativ. Dadurch habe ich nicht reagiert. Noch am Abend der Einlieferung ins Krankenhaus saß ich mit einer Freundin auf der Couch, wir haben überlegt, welchen Netflix-Film wir gucken, um mich etwas abzulenken. Zwei Stunden später sagt ein Arzt zu mir: “Du hast noch vier Stunden zu leben.”

Das klingt dramatisch.
War es auch. Ich bin ja nur auf Drängen meiner guten Freundin zur Notaufnahme gefahren. Was ich nicht ahnte: Es war höchste Zeit. Meine Nieren waren schon dabei zu versagen. Ich bin seit meiner Kindheit nierenkrank. Corona greift dich an deiner Schwachstelle an.

Wie ging es weiter?
Ich wurde ins Universitätsklinikum Essen überstellt. Dort wollte man mich sofort intubieren und ins künstliche Koma versetzen, denn ich hatte mittlerweile auch eine schwere Lungenentzündung. Ich hab das aber vehement abgelehnt, ich war in dem Moment einfach völlig desorientiert, hatte Angst und Panik. Ich wollte auf keinen Fall das Bewusstsein verlieren. Die Ärzte haben dann notgedrungen eine Sauerstofftherapie am Beatmungsgerät angeordnet. Das hat meinen Zustand zwar stabilisiert, aber nicht gebessert.   

Rooz über seinen Kampf gegen Corona: “In dieser Nacht habe ich zu mir gesagt: Ich werde hier nicht sterben”

Wie wurden Sie danach therapiert? 
Nach etwa einer Woche bekam ich einen Anruf von meinen Freunden: ‘Du musst jetzt eine Patientenverfügung unterschreiben. Die werden in den nächsten Tagen intubieren müssen, deine Werte werden nicht besser.’ Eine gute Freundin hat dann versucht, einen Notar aufzutreiben, der innerhalb der nächsten zwei Stunden zur Notaufnahme kommen kann. Alle haben ihr dabei geholfen, auch Nelson Müller, ein gemeinsamer Freund von uns – er hat das neulich auch bei “Hart, aber fair” erzählt. Vorher wusste ich gar nicht, dass er auch involviert war. Am Ende konnte meine Freundin über einen Kumpel aus Dortmund einen Notar finden, der sofort zu mir fuhr und mir am Krankenbett die Papiere vorlas.

Ist man in so einem Moment überhaupt in der Lage, eine Entscheidung zu treffen?
Tagsüber war schon ein Krankenhauspsychologe bei mir, ich schätze, um zu prüfen, ob ich geschäftsfähig bin. Ich war trotz aller Schmerz- und Beruhigungsmittel zwar bei Sinnen, aber natürlich stand ich komplett neben mir. Ich hab kein Wort verstanden, in diesem Moment hatte ich zum ersten Mal wirklich den Tod vor Augen. Nachdem ich die Papiere unterschrieben hatte, hab ich angefangen zu weinen. Völlig unkontrolliert. Das ist mir lange nicht passiert.

Wurden Sie intubiert?
Nein. In dieser Nacht habe ich zu mir gesagt: Ich werde hier nicht sterben. Nicht, weil ich die Beatmungsmaske nicht ertrage. Dann kam einer der vielen Pfleger, Umut, das bedeutet auf Türkisch “Hoffnung”. Der hat mit mir geredet und Witze gemacht. Das hat mit Kraft gegeben. Ich habe also noch einmal einen neuen Versuch mit dem Beatmungsgerät unternommen. Vorher hatte ich mich immer gegen die Maske gewehrt. Denn dieses Gerät, bekannt als CPAP, ist die Hölle. Man muss es zwei Stunden am Stück tragen, hat dann Pause, muss die Maske wieder tragen. Es ist wahnsinnig schmerzhaft. Man denkt, man erstickt darunter, deshalb neigt man dazu, sie irgendwann zu lockern. Nur geht damit der ganze Effekt verloren. Erst ab dem Notar-Besuch habe ich die Therapie richtig mitgemacht, es einfach ausgehalten. In der Nacht habe ich die Maske insgesamt sechs Stunden getragen und am kommenden Tag und in der Nacht darauf. Plötzlich stabilisierten sich meine Werte. Meine Lunge öffnete sich und ich konnte wieder ohne Maschine atmen. Dadurch konnte ich der Intubation entgehen.

Wie haben Sie die Kurve gekriegt?
Ich habe die Maske vorher als Feind gesehen. Doch irgendwann habe ich einen Trick angewendet: Ich habe sie einfach als Trainingsgerät begriffen, so wie Schwimmer manchmal mit Maske trainieren, um mehr rote Blutkörperchen zu entwickeln. Ich hab die Maske zu meinem Komplizen gemacht.

Ist der schwere Verlauf durch die Vorerkrankung zu erklären?
Mein Verlauf wäre sicher viel milder gewesen, wenn ich sofort zum Arzt gegangen wäre. Ich habe aber fünf Tage Zeit verloren, weil die Tests  – übrigens verschiedene – immer negativ waren. Das war eine Falle.

Sie haben schon sehr früh damit angefangen, Videos von der Intensivstation zu veröffentlichen. 
Ich habe erstmals am 21. November ein Foto aus dem Krankenhaus gepostet. Und dann habe ich angefangen, auf Instagram Stories hochzuladen, in denen ich die Situation auf der Intensiv beschreibe. Die Isolation dort war für mich einfach schlimm. Gerade wenn man solche Angst hat und nicht weiß, ob man überlebt, ist die Einsamkeit fürchterlich. Instagram und der Kontakt zu meinen Freunden über WhatsApp war wie eine Therapie. Und die Resonanz war unglaublich: Ich habe Hunderte Nachrichten bekommen. Viele meiner vor allem jungen Follower haben offenbar erst durch meine Postings erfahren, was diese Krankheit bedeutet: “Rooz hat Corona – das gibt es also doch!”

An dieser Stelle hat unsere Redaktion Inhalte aus Instagram integriert.

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Warum haben gerade Ihre Beiträge so eine Resonanz erhalten?
Die Videos waren authentisch und nah dran. Sehr ungeschönt, ich sah teilweise nicht gut aus, man konnte hören, dass ich auf Beruhigungsmitteln war oder vorher geweint hatte. Meine Follower konnten die Schritte mitgehen, meine Probleme und die Quälerei mit der Maske, aber eben auch bei jedem kleinen Erfolg mitfiebern.

Was für Zuschriften haben Sie bekommen?
Es waren unglaublich viele, die mir Mut gemacht haben. Das hat mich motiviert, stark zu bleiben. Einerseits haben sich die krassesten Gangster bei mir gemeldet mit: “Bruder, deinetwegen lasse ich mich jetzt impfen.” Aber auch viele Frauen haben geschrieben und angekündigt, sich mit ihren Kindern impfen zu lassen. Normalerweise habe ich 20 bis 30.000 Story-Views. Jetzt habe ich 100.000.  

Wie viele Leute haben geschrieben, sich wegen Ihnen jetzt impfen zu lassen? 
Mehrere Hundert auf jeden Fall.

Gab es auch die umgekehrte Reaktion: Menschen, die Ihnen vorwerfen, die Krankheit nur vorzutäuschen und die Videos zu faken?
Eine Handvoll. Das waren nur sehr wenige. Die meisten Reaktionen waren überwältigend: Die komplette Rap-Szene hat mir täglich geschrieben, aber auch viele Menschen, die nicht aus meiner Bubble sind, haben öffentlich meine Stories geteilt und mir ihre Anteilnahem geschickt. Das hat vielleicht mein Leben gerettet.

Reportage

Inside Intensivstation


Intensivpfleger am Limit: dramatische Einblicke in die Arbeit mit Covid-Patienten


Video05:42

06.12.2021

Heute kommen Sie aus dem Krankenhaus. Wie geht es jetzt weiter?
Es steht eine Reha an. Ich hoffe, dass ich in drei bis sechs Monaten wieder ganz der Alte bin und keine Spätfolgen der anderen inneren Organe befürchten muss. Und vor allem, dass ich keine posttraumatische Belastungsstörung aus der Isolationszeit in der Intensivstation mitgenommen habe. Wenn ich eins noch sagen darf: Ein Riesendank an das ganze Team der KMT 3 des Uniklinikums Essen, das großen Anteil dran hat, dass ich jetzt mir Dir reden kann.

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