Die Uhr zeigte 17.12 Uhr und die Anzeigetafel die 68. Spielminute, als im Bochumer Ruhrstadion jene Stimmung ausbrach, für die dieser Verein mit seinen Fans im Ruhrgebiet, in ganz Deutschland, ach was, in der ganzen Welt gerühmt wird. Die Zuschauer erhoben sich von ihren Plätzen und sangen so laut, dass man es die Castroper Straße rauf und runter hörte. Sekunden zuvor hatte Bochums Fanliebling und Kapitän Anthony Losilla, 37, ein Tor für den VfL geschossen.
Doch was nützt ein Tor, was nützt die Stimmung und was nützt der Kult um den Bochumer Traditionsklub, wenn seine Fußballer erst 25 Minuten vor dem Ende halbwegs mit dem Fußballspielen anfangen. Bevor im Ruhrstadion in der 68. Minute die Stimmung ausbrach, hatte es nämlich bereits 3:0 für die Gäste von Borussia Mönchengladbach gestanden. In der ersten Halbzeit hatten sie lethargische Bochumer an die Wand gespielt. Und so genügte den Gladbachern die erste Halbzeit, um am Ende mit einem 3:1 (3:0) in Bochum den ersten Saisonsieg zu feiern.
Während sie sich mit diesem ersten Dreier zaghaft ins Tabellenmittelfeld vorbewegen, verbleiben die Bochumer an der Abbruchkante zur Abstiegszone – mit drei Punkten und 19 Gegentoren aus sechs Spielen.
Gladbachs Fans hängen ihr Banner vor die Notausgänge – deshalb beginnt das Spiel mit großer Verspätung
“Döp-döp-döp-dödö-döp-döp-döp”, singen die Gladbacher Fans, wenn ihre Mannschaft ein Tor geschossen hat. Schon in der ersten Halbzeit haben sie das in Bochum also drei Mal gesungen: nach dem 1:0 durch Florian Neuhaus (27.) genauso wie nach dem 2:0 (37.) und 3:0 (45+3.) durch Alassane Pléa. Hätte Franck Honorat in der 2. Minute nicht den Pfosten getroffen und Pléa in der 18. Minute nicht die Latte, dann hätten Gladbachs Fans einen Lippenkrampf riskiert. Ziemlich viel Döp-döp-döp.
Dieselben Fans, die so singen, machen freilich auch oft Quatsch. In Bochum haben sie mit einem Riesenbanner die Notausgänge ihres Fanblocks zugehängt, der Anpfiff verzögert sich dadurch um zehn Minuten, und Mitte der ersten Halbzeit warfen sie Rauchtöpfe aufs Feld, minutenlang qualmte es stark und das Spiel musste unterbrochen werden. Als die Luft wieder klar schien, qualmte den Bochumer Spielern dennoch weiter der Schädel. Sie fanden kaum Zugriff. Nach dem 1:3 (68.) gelang Losilla in der Nachspielzeit zwar noch ein zweites Tor, doch wurde diesem wegen eines vorangegangenen Fouls am Gladbacher Torwart Moritz Nicolas die Anerkennung versagt.
“Endlich haben wir mal DIE erste Halbzeit gespielt, die wir uns vorgenommen haben”, sagte Gladbachs neuer Innenverteidiger Maximilian Wöber. Er zeigte sich erleichtert: “Der Sieg ist eine Befreiung, wir haben den Druck vorher gespürt.” Der Trainer Gerardo Seoane hofft, dass der erste Erfolg “Einfluss auf die Gemütslage” hat, dass damit vielleicht ein Knoten geplatzt ist.
Ratlos wirkten hingegen die Bochumer. “In der ersten Halbzeit hat nix gepasst”, sagte Losilla, mochte sich aber nicht beschweren über das neue System mit Fünferkette und zwei Spitzen, das für ausgeprägtes Pressing vorgesehen ist. “Gegen Dortmund und Frankfurt hat es doch auch geklappt”, sagte Losilla. Doch gegen Gladbach waren die Bochumer im Pressing nicht konsequent genug. “Wir machen, was der Trainer uns sagt – aber wenn wir das nicht alle mit einhundert Prozent machen, dann wird’s schwer”, bemängelte Stürmer Philipp Hofmann.
Bochums Trainer Thomas Letsch war schwer enttäuscht. “Die Leistung war katastrophal”, sagt er ohne jegliche Relativierung: “Wir müssen uns fragen, ob der Ansatz aktuell der richtige ist oder ob wir andere Spieler auf den Platz stellen müssen.” Man werde jetzt “Tacheles reden” und “im Umgang rauer” werden. Letsch hat schon nach dem sechsten Spieltag den Finger am Resetknopf: “Wir stellen jetzt wirklich alles in Frage!”